Samstag, 30. März 2013

Aggression und "Red Zone"-Hunde


Hunde, die Aggressionsverhalten gegenüber Menschen oder anderen Hunden (generell Lebewesen) zeigen, machen uns Angst. Im Gegensatz zu manch anderen – für Menschen problematischen – Verhaltensweisen ist hier unmittelbarer Handlungsbedarf.
Darüber herrscht soweit mal Einigkeit; was man von den „Behandlungsmethoden“ nicht gerade sagen kann: von – in Österreich illegalen – Trainingsutensilien wie Teletakt und Stachelhalsband über Leinenruck und anderen gegen das Österreichische Tierschutzgesetz verstoßende Korrekturen bis hin zum gewaltfreien Training mit Leckerlis und co ist alles vertreten.

Inzwischen gibt es genügend Erkenntnisse über das Ausdrucks- und Lernverhalten, hundliche Bedürfnisse und Sozialverhalten, die beweisen, dass ein Training von Hunden, das auf Korrekturen und Bestrafung aufbaut, einen Hund weder „sicher“ macht noch tierschutzgerecht ist. Einige Argumente habe ich bereits in vergangenen Posts thematisiert (selbstverständlich kein Anspruch auf Vollständigkeit!):


Trotzdem erscheint es jedoch für viele Menschen logisch, einen Hund insbesondere für aggressives Verhalten zu bestrafen oder zu korrigieren, ihm deutlich zu zeigen, dass sein Verhalten unangemessen ist. Veraltete und überholte Rangordnungs- und Dominanztheorien untermauern dieses Vorgehen.

Medial, vor allem im Fernsehen, sind Beiträge beliebt, die sich mit der „Behandlung“ von Aggressionsverhalten befassen. Teilweise spektakuläre Maßnahmen, wie den Hund auf den Boden drücken bis er aufgibt, und weniger auffällige Korrekturen wie Leinenrucke, Tritte oder anderweitige Androhungen unangenehmer Konsequenzen erreichen viele ZuseherInnen. Und zum Leidtragen der Hunde (und der Sicherheit!) gibt es inzwischen auch viele NachahmerInnen. Der amerikanische Hundeflüsterer Cesar Millan ist der wohl bekannteste Anwender dieser tierquälerischen Methoden.

Hier ein vor kurzem erschienenes Interview einer Österreichischen Zeitung über die Gefahren und Tierschutzrelevanz von Cesar Millan und co:



Gerade Aggressionsverhalten erfordert also keine aversiven Trainingsmethoden (auch keine psychischen Bedrohungen „Wehe wenn du das tust“, „Nein“, Zischlaute aller Art), sondern Management (auslösende Situationen verhindern oder sinnvolle „Schadensbegrenzung“) und gezieltes Training durch positive Verstärkung (abseits der Abklärung möglicher gesundheitlicher Ursachen, Stressreduktion, klare Strukturen, Veränderungen im Tagesablauf, etc). Weder psychische noch physische Gewalt führt zu Hunden, die für ihre Umwelt keine Gefahr (mehr) darstellen.

Doch was ist mit diesen „Red Zone“-Hunden, die Cesar Millan meist innerhalb „kurzer Zeit rehabilitiert"? Die sind doch „wirklich aggressiv“ und „absolut gefährlich“, Ausnahmehunde in Punkto Aggressivität, die eine Trainerin wie ich und viele meiner KollegInnen noch nie live gesehen haben. Cesar rettet Hunde vor dem Einschläfern – ein Held?
Nein. Auch andere HundetrainerInnen retten Hunden das Leben, arbeiten aber gewaltfrei und belohnungsbasiert, mich eingeschlossen. Zahlreiche ExpertInnen warnen außerdem vor dem Training mittels Strafe und Korrekturen.
Ein weiterer Fehler in dieser Herangehensweise besteht vor allem auch darin, dass das Aggressionsverhalten überhaupt ausgelöst wird, um es dann bestenfalls zu unterdrücken. Eine sinnvolle, tierschutzkonforme und sichere Verhaltensänderung findet hier nicht statt. Fast jeder Hund kann zu einem „Red Zone“-Hund werden, wenn er für sein Ausdrucksverhalten bestraft und/oder massiv körperlich "bedrängt" wird (ein Tritt in die Flanken ist übrigens kein Aufmerksamkeitssignal wie ein menschliches auf die Schultern tippen, was auch niemals Aggressionsverhalten unterbrechen könnte!).

Gutes Training von Aggressionsproblemen behandelt die Ursachen: die Assoziationen der Hunde werden positiv verändert und der Hund lernt eine adäquate Verhaltensalternative. Das sieht dann wenig spektakulär aus. Auch bei „Red Zone“-Hunden.

Gerade heute hatte ich einen Hund im Training, den "sogar" Cesar Millan als „Red Zone“-Hund bezeichnen würde: Dämon (er wird Dämi gerufen), ein kastrierter Pitbull-Rüde, hat andere Hunde bereits mehrfach gebissen und einen sogar getötet (auch VertreterInnen anderer Rassen, die eine ähnliche Geschichte haben, sind bei mir im Training). Menschen gegenüber ist Dämon sehr freundlich, obwohl er bestimmt in der Vergangenheit vom Vorbesitzer körperlich bestraft wurde. Sein jetziger Besitzer erzählte mir im Erstgespräch, dass Dämon lange Zeit bei schnellen Bewegungen zusammenzuckte.
Der Hund hat Glück, sein Mensch ist ein Naturtalent. Nach nur zwei Theorieeinheiten (auch für den NÖ-Sachkundenachweis) inkl. Videobeispielen konnten wir die erste Praxisstunde erfolgreich abschließen: mittels positiver Verstärkung (hier mit Clicker) verändern sich Dämons Assoziationen anderen Hunden gegenüber und er lernt ein adäquates Alternativverhalten. Ausschlaggebend für den Erfolg war, dass wir Dämon nie in die Situation führten, die Aggressionsverhalten auslöst.
Die Prognose ist gut und ich bin zuversichtlich, dass wir die Distanz zu anderen Hunden bald verringern können, denn der Besitzer trainiert auch im Alltag ganz bewusst mit dem Hund, hat viel Einfühlungsvermögen und Empathie. Ziel ist es, dass man Dämon sicher an anderen Hunden in angemessenem Abstand vorbeiführen kann und dass er generell ansprechbar und damit kontrollierbar bleibt. Dämon trägt ein Brustgeschirr (an dem auch die Leine befestigt ist), wird „mit Leckerlis belohnt“ und ist mit Beißkorb gesichert.

Die 2. Praxiseinheit und es klappt schon wunderbar:



(Im Training von Hund-Hund-Aggression ist mir übrigens auch wichtig, dass der hundliche Trainingspartner, in dem Fall „mein“ Nemo, auch Spass daran hat – an der Leine gehen kann und soll ja auch lustig sein.)


Montag, 11. März 2013

Hannes lebt... seit einem Jahr bei uns!



Rottweiler-Mischling Hannes lebt. 
Da er erst ca. 4 Jahre alt und „pumperlgsund“ ist, sollte das eigentlich nicht verwundern...
Dennoch ist es so, dass Hänschen seit 7.1.2011 eigentlich schon tot wäre. Er ist also ein Untoter sozusagen. 



Wie das???
Er ist einer der drei Hunde, die ich um den Jahreswechsel 2010/2011 vor der ungerechtfertigten Euthanasie (was für ein widerliches Wort in dem Zusammenhang) retten konnte. 
Alle haben unterschiedliche Geschichten, aber eine Gemeinsamkeit: sie wurden schlecht behandelt, ihre Zeichen wurden nicht verstanden und galten als gefährlich.


Hier ist die Geschichte von Spider, der nach wie vor eine neue Familie sucht, er hätte es sich so verdient:

Susi, die Dritte im Bunde, wartet auch noch sehnsüchtig:


Aber kommen wir wieder zurück zu Hänschen klein, ehemals Blacky. Er wurde durch Gehorsamsfanatiker der alten Schule verhaut, im wahrsten Sinne. 

Sprüche (und deren Umsetzung) wie „Dem muss man mal zeigen, wer der Herr ist“, „Der ist dominant und gehört untergeordnet“, „Der muss parieren“, … haben ihn nicht zu einem folgsamen und schon gar nicht zu seinem sozial sicheren Hund gemacht:
In einem österreichischen Tierheim wurde ihm das Fürchten vor Menschen gelehrt... 
Was leider bei so vielen Hunden funktioniert (Stichwort „erlernte Hilflosigkeit“), klappt bei einigen Wenigen nicht – Hannes ist einer von ihnen. Und ich bin „stolz“ auf ihn, dass er sich nicht alles hat gefallen lassen, sondern gelernt hat, sich zur Wehr zu setzen, auch wenn es ihm fast das Leben gekostet hätte (und ich auch im Alltag sehr auf ihn aufpassen muss).

Hier seine Geschichte und grundlegende Informationen über hundliches Lernverhalten zum Nachlesen in vergangenen Posts:

Gestern vor genau einem Jahr ist er in unsere WG eingezogen; 
zu Baghira, Nemo, Leila, Linus (der uns leider am 20.1.2013 aufgrund eines Tumors im hohen Alter verlassen hat ;-( --> Linus, wir vermissen dich unendlich!) und mir.

Es war und ist eine Herausforderung, mit 3 (mitunter "schwierigen") Hunden zusammenzuleben und für sie alleine verantwortlich zu sein, aber ich möchte keinen Tag missen.

Danke, Baghira, Nemo und Hänschen, dass ich so viel von euch lernen darf!






Sonntag, 10. März 2013

Was tun, wenn sich der Hund nicht von gefundenem Essbaren abrufen lässt?



Hunde, insbesondere Angehörige der Rasse Labrador Retriever, können sehr „verfressen“ sein. Das ist ja grundsätzlich nichts Schlechtes, im Gegenteil, sogar erwünscht...
Camillo, der aus Frust leinenaggressiv reagiert, lernt zum Beispiel über gezielte Belohnung mit Futter, dass er nicht jeden Hund begrüßen muss und die ganze Aufregung eigentlich eh „für nix“ ist (über Desensibilisierung, Gegenkonditionierung und Alternativverhalten). Insofern ist ein Hund, der mit Essbarem gut motivierbar ist, im gewaltfreien und belohnungsbasierten Training wirklich sehr angenehm. 



Dennoch gibt es Situationen im Zusammenhang mit Essbarem, in denen mensch das Gefühl hat, der Hund „gehorcht“ nicht... schlimmer sogar, „der verarscht dich!“, würden wohl so manch Unwissende behaupten...




Ein wunderschönes Beispiel ist Camillos „Komposthaufen-Problem“: Intelligent wie er ist, hat er inzwischen sehr gut gelernt, dass Frauerl ab einer gewissen Distanz zu ihm keine Einwirkung mehr hat. So läuft er dann ungehindert (wenns sein muss mehrere hunderte Meter) zum geliebten Komposthaufen. Und das unter Umständen mit einem „Tut mir leid Frauchen, ich muss noch was erledigen“-Blick kurz vorm Durchstarten.

Ärgerlich, oder?
Eigentlich nicht. Camillo macht das, was ein Hund eben so tut: Den Spaziergang auch zur Suche nach Essbarem nutzen. Wie schon erwähnt, im – vom Menschen gezielten Training – ja ein durchaus erwünschter Effekt.

Was also tun?
Dem Ärger freien Lauf lassen und den Hund versuchen durch Schimpfen, Nachlaufen, In den Weg stellen, Einfangen, Bestrafen,... vom „Fehlverhalten“ abhalten (oder sogar danach bestrafen)? Damit läuft Mensch jedoch Gefahr, das „Wettrüsten“ zu verlieren: Der immer ärgerlicher werdende Mensch schimpft und bestraft immer intensiver und lauter, der Hund lernt mehr und mehr, sich der Einwirkung zu entziehen oder sogar eine Strafe in Kauf zu nehmen für ein paar herzhafte Bissen.

Da die meisten Menschen mit einem frei laufenden Hund spazieren gehen möchten, ist der erste Schritt (Level 1) zur Besserung nicht immer einfach: Anleinen, um das „Fehlverhalten“ zu verhindern.

Level 2 wäre, dass der Hund losgelöst von der „Komposthaufen-Situation“ - im Trockentraining sozusagen – erstmal im Sitzen bzw. Stehen lernt, dass Essbares am Boden bedeutet, dass er von Frauchen/Herrchen etwas Besseres bekommt.

Kann der Hund das schon gut, kann damit begonnen werden, Level 3 anzugehen: Wenn der Hund sich beim Anblick von Futter am Boden erwartungsvoll zu Frauchen/Herrchen dreht, geht die/der BesitzerIn einen Schritt vom Futter weg, bevor der Hund belohnt wird.

Klappt das ohne den Hund an der Leine zu ziehen, wäre Level 4, den Hund zu belohnen, nachdem man gemeinsam einen Schritt zur Seite macht.

Level 5, wenn alles ohne Leinenspannung funktioniert, kann man einen Schritt auf das Futter am Boden vor der Belohnung zugehen. 

Camillo kann das schon gut: 

https://www.facebook.com/media/set/?set=a.486224968104213.1073741825.126524544074259&type=1

http://www.canissapiens-hundetraining.blogspot.co.at/2012/03/videos-vom-heutigen-lernspaziergang-mit.html

Wenn das alles störungsfrei klappt, das heißt, der Hund schaut zum Futter am Boden und bleibt ohne die Hilfe der Leine beim Menschen, kann begonnen werden, noch mehr Bewegung reinzubringen, die Wertigkeit des Futters am Boden zu erhöhen, möglichst reale Situationen nachstellen etc...

Natürlich ist diese Anleitung nur eine von vielen, Hunden schrittweise beizubringen, dass Frauchen/Herrchen immer – zumindest meistens – Besseres zu bieten haben.

Hauptsache: Keine Strafen, kein Bedrohen, die Trainingssituation so planen, dass der Hund Erfolg hat und Alltagssituationen – vorübergehend – so managen, dass das unerwünschte Verhalten nicht belohnt wird.

Und immer bedenken: Hunde lernen immer, nicht nur, wenn wir Menschen gerade trainieren wollen... :-)